Dieses Blog durchsuchen

Einweisung in die geschlossene Psychiatrie

Eigene Erfahrungen
Bernd Seiffert wurde als Jugendlicher selber in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Er wurde während der Lernphase zu den Abiturprüfungen in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Universitätsklinikum Aachen verbracht, wo er an ein Bett 
Universitätsklinikum Aachen
gefesselt und mit psychiatrischen Präparaten zwangsbehandelt wurde.

Eingewiesen wurde Bernd Seiffert primär aufgrund von situativ bedingten physiologischen Ursachen, die sich auf seinen mentalen Zustand auswirkten. Dies waren a) ein Schlafmangel (Insomnia), b) eine Dehydratation (Austrocknung/ Wassermangel) und c) ein erhöhtes Stressniveau (Distress). Bernd Seiffert beging keine Straftaten und war nicht gewalttätig. Es handelte sich um einen friedfertigen Menschen mit einem gutmütigen Wesen. Der ungünstige Umstand, dass er bei einer Wanderung an einer Polizeistation friedlich ein dringend benötigtes Glas Wasser erbat, endete aufgrund seines erschöpften Zustands und der Ungewöhnlichkeit seines Ersuchens damit, dass er falsch verstanden und noch vor Ort von angefordertem medizinischem Personal mit einem psychiatrischen Präparat sediert wurde. Die Wirkung der verabreichten Injektion setzte unmittelbar ein und ließ ihn nur noch ganz verschwommen sehen. Im benebelten Zustand hielt man ihm eine schriftliche Willenserklärung vor und man drohte ihm mit Zwangseinweisung, wenn er nicht unterschreiben würde. Auch wenn Bernd Seiffert die einzelnen verzerrten und unscharfen Buchstaben nicht mehr erkennen konnte, setzte er trotzdem seine Unterschrift unter das ausgehändigte Papier, um schlimmeres zu verhindern. Er konnte nicht ahnen, was nun auf ihn zukommen würde.


Eingesperrt in einer Anstalt
Hatte Bernd Seiffert einmal aufgrund seiner Erschöpfung etwas neben der Spur gestanden, fand er sich jetzt auf einmal in einer geschlossenen Anstalt wieder. Eingesperrt, an ein Bett festgeschnallt und völlig von der Außenwelt abgeschottet.  Erfahrungen, die eine negative Folge für sein Selbstwertgefühl haben sollten. Dabei hatte er niemanden etwas getan und er wollte auch sich selber nichts antun. Auf der Station schien ihm immer mehr bewusst zu werden, in welche hässliche Situation er hier hineingeraten war. Tag für Tag wurde er mit starken Medikamenten vollgepumpt und auch die anderen Patienten mussten fleißig ihre Medikamente einnehmen. Wenn sich jemand gegen die Einnahme auflehnte, gab es körperliche Übergriffe und nicht selten wurden Menschen an Betten festgebunden und ihnen zwangsweise Spritzen verabreicht. Die meisten Patienten lagen entweder vollgestopft mit Medikamenten in ihren Betten oder sie schlichen geistesabwesend auf dem Flur auf und ab. Auch Bernd Seiffert begann sich in der Psychiatrie zunehmend mehr wie eine lebende Leiche zu fühlen und es schien, als würde sich alles um ihn herum langsamer abspielen. Selbst die Stimmen der Pfleger und Psychiater schienen mit der Zeit leiser zu werden, gar in den Hintergrund zu treten. 



Die Nebenwirkungen
Es dauerte nicht mehr lange bis die starken psychiatrischen Medikamente sein Nervensystem völlig aus der Balance brachten und die heimtückischen Nebenwirkungen für ihn immer unerträglicher wurden. 
Bernd Seiffert
Jetzt war er wirklich krank. Sein Hals und seine Zunge verkrampften sich und er bekam plötzlich kaum noch Luft zum Atmen. Es war ein Kampf um Leben und Tod und während dieser Momente hatte Bernd Seiffert das Gefühl sterben zu müssen und nicht mehr lebend aus der Psychiatrie herauszukommen. Spontan entschloss er sich eines Tages dazu, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Als er sich frei auf der Station bewegen durfte und auf dem Flur der geschlossenen Abteilung die gläserne Ausgangstür erblickte, rannte er plötzlich los und versuchte den Ausgang zu erreichen, um aus der Anstalt zu fliehen. Doch schon beim Losrennen bemerkte er, dass seine Muskeln nicht wie sonst funktionierten, aber er rannte weiter. Hinter ihm hörte er schon eine Person nervös aufschreien: "Stoppt den Irren!"
Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis Bernd Seiffert von mehreren Pflegern überwältigt und brutal zu Boden gedrückt wurde. Der Fluchtversuch endete mit weiteren Maßnahmen, wie Fixierung, Zwangsmedikamentisierung und Überwachung. Erst mit Nachdruck von Angehörigen konnte sein größter Wunsch eines Tages doch noch erfüllt werden. Nach insgesamt 6 Wochen wurde Bernd Seiffert aus der Hölle der Psychiatrie entlassen und konnte sein Leben in Freiheit weiterführen. Er klemmte sich wieder hinter seine Schulbücher, holte in dem darauf folgenden Schuljahr das verpasste Abitur erfolgreich nach und begann eine Ausbildung als Fachinformatiker an einem technischen Institut.


Das Trauma
Doch durch die erlebten zwangspsychiatrischen Maßnahmen wurde bei Bernd Seiffert ein mentales Trauma ausgelöst. Von den seelischen Verletzungen, die ihm durch die Psychiatrie zugefügt wurden, konnte er sich nie mehr vollständig erholen. Sie verfolgten ihn bis zu seinem Lebensende, doch sein Vertrauen in das Gute und in den einzelnen Menschen verlor Bernd Seiffert nie und das
Klinikum aus der Ferne
obwohl er seiner Autonomie und Entscheidungsfreiheit derart brutal
 beraubt und von einer medizinischen Disziplin eklatant enttäuscht und unterdrückt wurde. Nach seiner Freilassung aus der Anstalt betonte Bernd Seiffert immer wieder, "dass es schlimm sei, was in der Psychiatrie mit den Menschen gemacht wird" und er begann ein anderes ethisches Verständnis und ein erweitertes soziales Engagement zu entwickeln. Massiv demonstrierte er gegen eine Zwangspsychiatrie, kritisierte den für ihn fahrlässigen Umgang mit psychiatrischen Medikamenten und informierte die Öffentlichkeit über die schädigenden Nebenwirkungen von Psychopharmaka und Neuroleptika. Bernd Seiffert begann die sogenannten Weglaufhäuser zu unterstützen, die antipsychschiatrischen Einflüssen entstammen und er beabsichtigte ein eigenes Weglaufhaus in Aachen zu gründen. 


Ohnmacht des Patienten   
Es liegt auf der Hand zu vermuten, dass die traumatisierenden Ohnmachtserfahrungen in der Psychiatrie auch sein nachträgliches Wirken als Künstler beeinflusst haben. Die zwei Psychiatriebilder, die im folgenden dargestellt und kurz analysiert werden, zeichnete der Künstler Bernd Seiffert wenige Jahre vor seinem Tod. Es handelt sich um Zeichnungen, die einen starken Kontrast zu seinen farbenfrohen Bildern  darstellen, in  denen  er  für  
Bild 1 von Bernd Seiffert (Psychiatriebild)
gewöhnlich die Natur abbildete. Auf Bild 1 ist ein Psychiatriepatient zu erkennen, der scheinbar gegen seinen Willen psychiatrisch behandelt wird. Der Patient wurde mit speziellen Fixierungsgurten geradezu in Formschluss an einem Bett fixiert und an eine Infusion angeschlossen. Die bildliche Darstellung von Bernd Seiffert erinnert ein wenig an die Ladungssicherungstechnik des Niederzurrens, welche LKW-Fahrer anwenden, um einen Gegenstand zum sicheren Transport kraftschlüssig durch Spanngurte an die Ladefläche zu pressen.  Auf der linken Seite des Bildes hält eine Person eine Spritze in der Hand und sagt: "Die Dosis muss erhöht werden." Eine zweite Person notiert vor dem gefesselten Psychiatriepatienten verschiedene psychiatrische bzw. psychopathologische Diagnosen. Der am Bett fixierte Patient weist einige Kabel an seinem Kopf auf, was die Aussage zu stützen scheint, dass er von den Mitarbeitern der Psychiatrie an eine Elektroenzephalografie (EEG oder Spontan-EEG) angeschlossen wurde. 


Todesangst durch psychiatrische Behandlung
Das zweite Bild zeigt ebenfalls, wie  Bernd Seiffert sich während seines Psychiatrieaufenthaltes gefühlt haben muss. Das Bild des jungen Psychiatriekritikers zeigt wieder einen gefesselten
Bild 2 von Bernd Seiffert
Psychiatriepatienten und zwei Psychiater. Auffällig ist, dass die  Psychiater im Vergleich zum Patienten relativ groß dargestellt werden und auch eine der Spritzen wird durch ihre Größe im Bild hervorgehoben. Hinzu kommt, dass Bernd Seiffert auf diesem Bild einen so genannten 
Zungenschlundkrampf darstellt, der durch das psychiatrische Präparat Haloperidol/Haldol ausgelöst wird. Bei diesem Phänomen kommt es zu grausamen und quälenden Verkrampfungen der Zunge. Die Zunge wird hart, die Zungenmuskulatur verkrampft sich und presst sich mit abwechselndem Herausstrecken und Einziehen an die Gaumenmuskulatur. Der Patient erlebt oftmals Todesangst und befürchtet zu ersticken. Außerdem sind sogenannte Blickkrämpfe, Heulkrämpfe und Zähneknirschen eine weit verbreitete Nebenwirkung dieses Präparates. Mit Hilfe der Verabreichung von Akineton, auch unter Biperiden bekannt, können Zungenschlundkrämpfe und eine statische Motorik gelöst werden, wodurch ein möglicher Tod durch Ersticken speziell durch den Psychiater oder die Pflegekraft verhindert werden kann. Auf dem Bild befindet sich in der rechten Westentasche des rechten Psychiaters eine Packung mit der Aufschrift "Akineton". Bernd Seiffert zeigt in diesem Bild, dass die Zungenschlundkrämpfe mit der Verabreichung des Antipsychotikums aus der Gruppe Butyrophenone, also dem Haloperidol, auch Haldol, einhergehen. Dies ist an den Tröpfchen zu erkennen, die aus der Packung mit der Aufschrift "Haldol" auf die Zunge des Gefesselten tropfen. Auch die Farben, in denen das Bild gemalt wurde, sind interessant. Zur Farbwahl ist zu explizieren, dass vorwiegend die Farbe Rot und die maximale Pigmentierung Schwarz verwendet wurde. Der Infusionshalter wurde beispielsweise im oberen Bereich in Schwarz dargestellt. Hierdurch entsteht ein schwarzes Kreuz, welches symbolisch für den Tod des Patienten durch die Verabreichung der Infusionen stehen könnte.  Dasselbe könnte für die verhältnismäßig große und schwarz dargestellte Spritze gelten, die sich wie ein Damoklesschwert über dem gefesselten Patienten befindet und dessen spitze Nadel auf ihn gerichtet ist. Der rechte Psychiater hält einen Notizblock in der Hand, auf dem er gerade etwas notiert. Es ist gut möglich, dass hierin eine Verbindung zu Bild 1 zu sehen ist. Auf Bild 1 hat Bernd Seiffert einen Notizblock abgebildet, auf dem verschiedene Diagnosen, zum Beispiel "Schwere Schizophrenie" festgehalten wurden. 

Letztendlich dokumentieren die Bilder die traumatisierenden Erlebnisse, die Bernd Seiffert in einer Psychiatrie machen musste. Sie erklären auch, warum er bereits wenige Jahre nach der Entlassung damit begann, sein verstärktes soziales Engagement weiter auszubauen und sich an Netzwerke von sozialen Bewegungen der Antipsychiatrie anzuschließen. Sein Hauptaugenmerk lag zunächst darauf, anderen Betroffenen zu helfen und die Gesellschaft über die Zustände in deutschen Psychiatrien aufzuklären. 

Manchen Menschen bleibt die Möglichkeit verwehrt, die Psychiatrie zu verlassen und ein selbstständiges Leben zu führen. Einige bleiben über einen sehr langen Zeitraum in der geschlossenen Psychiatrie, haben keine Angehörigen, keine Freunde, kein Zuhause und können nicht auf eigenen Beinen stehen. Immer wieder kam es vor, dass solche Menschen Opfer von Gewalt oder Zwang wurden und manchmal sogar die Psychiatrie nicht überlebten. Auf der anderen Seite werden jedoch in letzter Zeit auch immer mehr Fälle bekannt, bei denen Psychiatern vorgeworfen wird, zu wenig geholfen zu haben. Dies insbesondere bei suizidgefährdeten Menschen, die aus der Psychiatrie entlassen worden sind und sich anschließend das Leben nahmen. Bei weiteren Fällen wird Psychiatern vorgeworfen, den Patienten gerade durch die Zwangsmaßnahmen (Fixieren, Überwachen, Beobachten etc.) traumatisiert und in den Selbstmord getrieben zu haben (siehe den Fall Mario Hagemeister 2005/2006). 


(Mehrere Psychologen sollen später bestätigt haben, dass Bernd Seiffert durch besonders ungünstige Umstände in die geschlossene Psychiatrie gelangt sei, wo er wiederum wehrlos ein Martyrium  aus Gewalt und Zwang  erleiden musste.)


Bernd Seiffert starb nicht in einer Psychiatrie. Er kam auf tragische Weise bei einer Fahrradtour in Mönchengladbach ums Leben. Er starb in einem Krankenhaus, nachdem er von einem vorbestraften und betrunkenen Mann ohne Führerschein angefahren und auf einer einsamen Landstraße einfach hilflos liegen gelassen wurde. Der Trauerblog berichtete.















Keine Kommentare: